• Markt

Die neue Realität

Bis März 2020 herrschte die bisher größte Dynamik im Segment seit 20 Jahren, seit März 2020 ist das Segment von Krisenresistenz im Corona-Taumel geprägt. Wie blickt die Branche auf die nächsten Monate? Was sind die Trends? Worin liegen die Chancen?

Blick in ein Studio KPM Hotel & Residences, Berlin © KPM Hotels & Residences

Studio im KPM Hotel & Residences, Berlin © KPM Hotels & Residences

„Apokalyptische Zustände, die Folgen sind noch nicht erkennbar. Es wird eine riesige Marktbereinigung geben.“

„Aktuell haben wir eine durchschnittliche Auslastung von 62 Prozent. Der Bodensatz scheint allmählich erreicht. “

„Wir können als Aparthotel auch Longstay – das hat sich gezeigt.“

„Das Herunterfahren ist einfach, das Wiederhochfahren wird die Herausforderung. Deshalb wollen wir möglichst lange in Betrieb bleiben.“

„Vor ein paar Monaten hätte es uns noch nicht schnell genug gehen können. Jetzt sind wir dankbar, dass wir bisher nur zwei Häuser haben und die nächsten erst 2021 starten.“

„Wir sind zuversichtlich und sehen die Krise als kurzfristige, nicht strukturelle Krise. Wir haben einen starken Rückhalt durch Private Equity.“

Aussagen aus dem Apartmentservice-Stimmungsbarometer von März bis Mai 2020

 

Die 20er Jahre – sie scheinen diesmal nicht golden, sondern längere Zeit mit Corona-roten Effekten auf alle weltweiten Prozesse auszustrahlen. Die Corona-Pandemie hat durch den weitgehenden Wirtschaftsstillstand von Mitte März bis Mai 2020 in Deutschland eine unbekannte Laboratmosphäre erzeugt, deren Folgen bislang schwer absehbar sind. Das Serviced-Apartment-Segment war dabei, wie die gesamte Tourismusbranche, mit starken Buchungs- und Umsatzeinbrüchen konfrontiert. Hohe übliche Auslastungen von über 90 Prozent in Serviced Apartmenthäusern sanken auf zunächst 70 und später bis zu 40 Prozent, vor allem nachdem klassische Longstay-Aufenthalte von einem Monat endeten. Aparthotels lagen im Mai 2020 sogar bei nur noch rund 20 Prozent. 

Der RevPAR ist allein zwischen Februar und März 2020 um 30 Prozent gesunken. Die Betreiber gaben ihrer wirtschaftlichen Situation in Folge im Mai nur noch die Note 4 bis 5, so das Ergebnis des Stimmungsbarometers für diesen Marktreport. Zum Vergleich: Im Januar und Februar schätzten noch 85 Prozent diese als positiv oder sehr positiv ein. Durchhalten – das hätten die meisten bei einem längeren Lockdown nur bis Ende 2020 können, danach hätten möglicherweise Betriebsschließungen in großem Umfang gedroht.

 

Erster Lockdown mit 70 Prozent Öffnung und weiterhin relativ hoher Auslastung

Dennoch: Der Glaube an das Konzept blieb bei den meisten Betreibern seit März bestehen, so ein anderes Ergebnis des Stimmungsbarometers. Denn überraschend und deutlich zeigte sich, dass das Serviced-Apartment-Geschäft später und weniger stark einbrach als die klassische Hotellerie. Das Segment erwies sich als weniger volatil als die anderen Beherbergungssegmente. Viele Gäste blieben, weil ihr Serviced Apartment ihr Zuhause auf Zeit ist. Profitiert haben die Gäste von ihrer Küche im Apartment, der Wohnausstattung, der flexiblen Buchungsmöglichkeiten mit günstigeren Longstay-Optionen, von den Selbstversorgungsmöglichkeiten in der Nähe und den digitalen Services. 

Geöffnet blieben rund 70 Prozent der Häuser wiederum wegen ihrer geringeren Kostendecke durch weniger Personal, reduzierten Services und oft fehlenden F&B-, Tagungs- und Wellnessbereichen. Auch weil die Betreiber zügig die Mindestaufenthaltsdauer senkten, erweiterte Hygienekonzepte entwickelten und neue Zielgruppen gewannen. Unter den Gästen waren gestrandete Reisende, die nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten, Mitarbeiter systemrelevanter Betriebe, Gäste, die aus den geschlossenen Hotels umgebucht wurden, Menschen, die das Homeoffice in ein Apartment verlagert haben oder die sich in Quarantäne begeben mussten. Durch Preisreduzierungen konnten außerdem preissensible Berufsgruppen angesprochen werden. Das Segment erlebte also während des Corona-Lockdowns eine weiterhin hohe Nachfrage aufgrund seiner Alleinstellungsmerkmale, mit denen es in den letzten 20 Jahren bereits so dynamisch gewachsen war.

Und: Nachdem 2019 erneut die durchschnittliche Aufenthaltsdauer auf nunmehr 19 Tage gesunken ist, hat sich dieser Trend während des Corona-Lockdowns umgekehrt. Der Longstay war vor allem gefragt, während sich bereits zuvor die Zahl der Longstay-Angebote durch mehr Serviced Apartmenthäuser erhöht hatte. Das Longstay- bzw  Extendend-Stay-Konzept wird in der Folge als Ur-DNA des Segments einen weiteren Boom erfahren – und dies zugleich eine immense Wettbewerbssituation nach sich ziehen, auch durch neue Player aus der klassischen Hotellerie.

 

Krise mitten in größtem Wachstumsprozess

Dabei traf die Corona-Pandemie das Segment auf dem Höhepunkt seiner bisher größten Wachstumsphase, mit dem Status als eines der nachgefragtesten Immobilienbereiche. Laut STR performte der Sektor 2019 sowohl in Deutschland als auch weltweit besser als die klassische Hotellerie. In Europa wuchs dabei, laut Global Serviced Apartments Industry Report 2020 (GSAIR), die Zahl der Einheiten um 25 Prozent, was auf Kapazitätserweiterungen und Neueröffnungen, besonders in Großbritannien, Deutschland und Frankreich zurückzuführen ist.

Aktuell zählt der deutsche Markt 33.900 Serviced-Apartment-Einheiten in 631 Häusern mit mehr als 15 Einheiten (Stand: April 2020). Das sind 5.315 Apartments mehr als vor einem Jahr. Bis Ende 2022 kann mit einem gesicherten Wachstum um weitere rund 16.900 Einheiten gerechnet werden und damit mit einem 50-prozentigen Wachstum auf mehr als 50.300 Einheiten – dies Stand Juni 2020, also nach dem Ende des absoluten Corona-Lockdowns.

Bereits geplante Projekte sind kaum zurückgenommen worden, auch weil viele bereits weit fortgeschritten waren und sind. Vor allem die Adina Hotels, Adapt Apartments, ipartment, Smartments Business und Limehome werden in den nächsten Jahren weiter expandieren. Neue Brands wie Rioca by i Live oder Stay Kooook von SV Hotel, die 2020 Eröffnungspremiere feiern, stehen für die fortschreitende Ausdifferenzierung des Segments. Genauso haben aber auch Akteure wie die GBI bereits auf Corona reagiert und neue Subbrands wie Smartments Eco als komplett digitale Marke ohne öffentliche Flächen bekannt gegeben. Objektankündigungen wie von Locke (Edyn) oder Staycity werden die Internationalisierung des deutschen Markts vorantreiben. Und sichere Realisierungen wie die des Lebendigen Hauses in Bremen (Denkmalneu-Gruppe) oder aktuelle Neuankündigungen der GBI in den Gateway Gardens nähren den Trend zu weiteren Mixed-Use-Projekten. Dabei könnte das Segment mit Blick auf die Umsatzeinbrüche in der Hotellerie und im Einzelhandel ein noch begehrterer Partner werden.

Die Haupttrends des Segments aus den letzten Jahren haben damit weiterhin Bestand, selbst beim Thema Co-Living mit möglichen Konzeptanpassungen. Das Serviced-Apartment-Segment befindet sich – trotz Corona – sogar weiterhin in seiner bisher größten Wachstumsphase. Erst 2023 muss mit einem „Corona-Knick“ gerechnet werden, der die Expansionsgeschwindigkeit im Segment drosseln wird. Die Schallgrenze der 100.000 Einheiten wird damit nicht bereits 2026 erreicht, wie noch im letzten Jahr mit Blick auf die neuerliche Dynamik prognostiziert, sondern erst 2030. Das Segment ist auf die Expertenprognosen von Ende 2017 „zurückgefallen“.

Der deutsche Serviced-Apartment-Markt wächst also weiter, wenn auch nicht mehr so schnell. Die Basis ist mehr als solide, das Polster vorhanden. Doch die „Abers“ gilt es im Blick zu behalten: Der Sektor steht vor seiner zweiten großen Bewährungsprobe nach den konjunkturbedingten Einbrüchen in den Nullerjahren. Denn er ist Teil der Asset-Klasse Hotel, die in den letzten Monaten unter Investoren einen immensen Attraktivitätsverlust erlitten hat.Laut einer Branchenumfrage von Drees & Sommer vermuteten im Mai 2020 knapp 90 Prozent, dass die Bewertung von Hotelimmobilien herabgestuft wird. Finanzakteure äußerten sich im Juni 2020 mit zu erwartenden Preisabschlägen bei Hotelimmobilien von bis zu 40 Prozent.

Damit verbunden wird der Ruf nach neuen, Risiko senkenden Verträgen vor allem über hybride Pachtmodelle lauter. Hier werden auch viele Serviced-Apartment-Betreiber zukunftsfähiger nachjustieren müssen – 75 Prozent der Betriebe sind mittlerweile Pachtbetriebe.

 

Konsolidierung, Verkäufe, Trennung von Spreu und Weizen

Als unaufhaltbar – auch vor Corona – gilt der Trend zu Marktbereinigungen und Verkäufen.Das Wachstum großer, etablierter Serviced-Apartment-Anbieter könnte sich durch Übernahmen und Umbrandings noch mehr beschleunigen. Auch die klassische Hotellerie könnte hier größere Marktanteile auf sich vereinen. Kleinere Einzelbetriebe drohen hingegen vermehrt zu verschwinden.

In diesem Zuge hat in den letzten Monaten die Qualität der Betreiber bei Investoren und Projektentwicklern an immenser Bedeutung gewonnen, ergänzend zur Lage und zum Konzept. Anbieter, die Modelle schnell kopiert haben und mit unrealistisch hohen Wachstumszahlen den Markt betreten haben, werden chancenlos sein. Auch wird sich eine neue Spreu vom Weizen trennen, wenn vermehrt klassische Hoteliers nach dem Strohhalm Longstay greifen und mit Dumping-Monatsraten und grundsätzlich reduzierten Services Langzeitgäste auf sich aufmerksam machen wollen.

 

Bewegungen aus der Wohnwirtschaft

Als ein Krisengewinner sieht sich vor diesem Hintergrund die Wohnwirtschaft, die in den letzten Jahren mit immer ähnlicheren Apartment- bzw. Micro-Living-Angeboten auf dem Zeitwohnmarkt präsent ist. Sie wirbt mit weniger Kosten und Risiken durch geringere Auslastungsschwankungen. Dennoch befürchten die Akteure, dass sich auch im wohnwirtschaftlichen Bereich mittelfristig das Geschäft eintrüben wird. Das Angebot von hochwertig ausgestatteten Apartments und Gemeinschaftsflächen könnte eingeschränkt werden zugunsten stabiler oder niedriger Preise. Demgegenüber kann das Serviced-Apartment-Segment mit gewerblichen Service-Zusatzangeboten und mehr Flexibilität punkten, zumal die Mehrheit der Gäste noch immer nur ein bis zwei Monate bleibt. Es gilt zu hoffen, dass sich somit die wohnwirtschaftlichen und gewerblichen Welten auch produkttechnisch wieder etwas mehr differenzieren und für mehr Vielfalt stehen werden. Auch, weil sich das Serviced-Apartment-Segment noch eigenständiger innerhalb der Hotellerie positionieren wird. Ergänzend könnte die Wohnwirtschaft auch beim Trendthema Werkswohnungen punkten.  

 

Sinkende Preise, weniger Geschäftsreisen, mehr Wettbewerb, anderes Reisen

Mit Blick auf all diese „Abers“ muss die Markterholung mit angemessener Geduld betrachtet werden, bei allen Konzeptvorteilen. Das Segment ist dabei auf eine zügige Rückkehr des Geschäftsreiseverkehrs angewiesen, denn Business Traveller sind und bleiben in den nächsten Jahren die Hauptklientel von Serviced Apartmenthäusern und Aparthotels. Mit einer ersten Erholung dürfte frühestens ab dem dritten Quartal 2020 zu rechnen sein, mit einer annähernd vergleichbaren Auslastung wie 2019 erst 2021. Wir erwarten sinkende Preise, ein geringeres Geschäftsreisevolumen, mehr Wettbewerb und ein geändertes Reiseverhalten. Von letzteren könnte das Segment dann dennoch profitieren, wenn z. B. längere Aufenthalte mit gebündelten Terminen an einem Ort üblicher werden. Gleiches gilt für die gestiegene Bekanntheit während des Corona-Lockdowns und die künftig stärkere Wahrnehmung des abgeschlossenen Wohnkonzepts mit seinen digitalen Möglichkeiten.

Als gesichert gilt, dass die Nachfrage nach temporären Wohnformen erhalten bleibt – auch wenn sich die Wohnungsmärkte aufgrund sinkender Preise 2020/2021 leicht entspannen dürften.  

Auch die Megatrends Mobilität, Globalisierung und Nachhaltigkeit werden durch die Krise nicht gestoppt, aber sich modifizieren. New Work und flexiblere, digitale Arbeitswelten führen mehr denn je zu Work-Life-Blending. Und vor allem die Themen Sicherheit und Nachhaltigkeit erhalten einen neuen entscheidenden Stellenwert: Hygienekonzepte werden allgegenwärtig und das Hauptinstrument in der Wiedererlangung von Vertrauen.

Das derzeit wahrscheinlichste Szenario: Ein Anknüpfen an alte Performance-Werte kann das Segment frühestens 2022 erfahren – wobei hier massiv nach der Größe der Häuser zu differenzieren ist. Denn auch das hat die Krise gezeigt, das Streben nach immer kleineren Einheiten in immer größeren Objekten muss hinterfragt werden. Kleinere Objekte haben sich deutlich besser behauptet. Große Häuser sind zwangsläufig auf Shortstay angewiesen, und so krisenanfälliger. Aber sicher kann dies gegenwärtig nicht prognostiziert werden. Das ist die neue Realität – mit allen Vor- und Nachteilen.

Detaillierte Zahlen und Analysen zu Standorten und Projekttendenzen auch im Markreport 2020